Zivilcourage
Jüngst wurde ich Zeugin einer gewaltvollen Auseinandersetzung und bekam somit Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, wie mutig ich bin.
Beim Einbiegen in meine heimführende Straße sah ich auf der Gegenfahrbahn zwei verlassene, hintereinander stehende Fahrzeuge mit, in offensichtlicher Wut, aufgerissenen Fahrertüren. In dem freigebliebenen Raum zwischen dem Pkw vorn und dem Wohnmobil dahinter schlugen zwei Männer aufeinander ein. Rückblickend wirkt das ganze etwas unbeholfen albern. Das waren definitiv keine Prügel-Profis.
In der akuten Situation traf mich die offensichtliche Gewalt direkt in den Teil meines Gehirns, der sich zwischen Säbelzahntiger und Memme entscheiden muss. Und da ich für mich selbst postuliere, hin- und nicht wegzuschauen und Stellung zu beziehen, wenn es eine Haltung zu beziehen gilt, habe ich mich für mein Tigerkostüm entschieden. Ich tippe mal mehr instinktiv, denn wohl überlegt. Denn ich habe es weder geschafft, meinen eigenen Wagen verkehrssicher zu parken, noch erfolgreich 110 auf meinem Handy zu wählen.
Ich bin einfach nur ausgestiegen, habe mich in hoffentlich sicherem Abstand hingestellt, zu doppelter Größe aufgeblasen und „Hey! Hört auf mit dem Scheiß!!“ gebrüllt.
Aber die Jungs waren in Fahrt und ganz kurz schoss mir die Frage, ob die sonst keine Probleme haben, durch den Kopf.
Inzwischen lag einer der beiden rücklings auf der Erde und schon auf dem Schulhof meiner 2. Grundschulklasse war klar: Wer oben ist hört spätestens jetzt auf. Offensichtlich hatte der Obige aber eine andere Schule besucht und gerade erst angefangen, sozusagen bis dahin noch nicht vergossenes Blut geleckt.
Also schrie ich wieder (ich schreie ziemlich gut, meine Schreie sind meist weit entfernt von hysterischem Gekreische), es würde echt reichen und er solle es gut sein lassen. Der Mann in Rage fixierte den Unterlegenen mit seinem Knie auf dessen Brust und einer seiner Hände an seinem Hals auf Hamburgs Asphalt, die andere Hand reckte er zur Faust geballt in die Luft, scheinbar jederzeit zur Ausführung eines finalen Schlages bereit. Plötzlich starrt er mir mit tendenziell irrem Augenpaar direkt in die meinen und zischt „Siehst du das?“. Brrrrrrrr. Ich entscheide mich gegen erneutes Schreien und rufe deshalb „Ja, ich sehe das. Und dich sehe ich auch. Und dein Kennzeichen genauso.“. Wieso duzt man die Menschen in solchen Situationen eigentlich?
Und siehe da, er lies ab, ging zu seinem Auto, stieg ein und fuhr von dannen. Ich und mein noch immer in Aufruhr befindlicher Säbelzahn machten uns auf in Richtung Opfer, auf dem Weg dorthin flugs vom Tiger- ins Schwesternkostüm geschlüpft, als wäre das unsere tägliche Routine.
Der Beifahrer des Opfers am Boden hatte übrigens vom sicheren Beifahrersitz aus das gesamte Geschehen gefilmt!