Schlimme Sätze
Zu meiner Sammlung der schlimmsten Sätze, die man mir jemals gesagt hat, hat sich jüngst ein Neuling hinzugesellt.
„Wein doch nicht, Guck da nicht so hin, Da ist man froh, dass man selbst so gesund ist und mein absoluter Liebling: Das geht uns nichts an“ sind also getoppt, in einen tiefdunklen Schatten gestellt und somit als Hitparaden Erste hinfällig.
Ich atme tief durch, nehme Anlauf und schreibe ihn jetzt auf: MIT DIR MÖCHTE ICH ECHT NICHT TAUSCHEN.
Alter Falter! Der hat gesessen.
Mit mir möchte man echt nicht tauschen? Was ist los mit mir? Habe ich drei Köpfe? Schwebe ich aufgrund eines unglücklichen Vorfalls in der endlosen Weite des Orbits und werde dort in den nächsten drei Tagen elendig verdursten? Hat man mich betäubt, entführt und ins Dschungelcamp verschleppt, wo ich mich von Känguruhirn und Koalasperma ernähren muss?
Nichts davon trifft zu. Natürlich nicht. Ich bin weder ein Naturwunder, noch Sandra Bullock oder irgendein verirrter D-Promi.
Mir tritt das Leben nur ab und an ziemlich kräftig vors Schienbein. Es denkt sich immer mal wieder neue Groß-, Mittel- und Kleinigkeiten aus, die mich dann an, und manchmal auch über meine Grenzen hinaus treiben. Die mich den Kopf schütteln, die Arme gen Himmel strecken und weinerlich fragen lassen „Was denn nun noch bitte?“. Die mir immer wieder Gäste schicken mit den originellen Namen Schmerz, Wut, Angst, Verzweiflung und/oder Unsicherheit.
Nebenbei gemerkt, ich bin dann eine gute Gastgeberin. Ich öffne meine Türen, biete einen Platz zum Verweilen an, serviere Heiß- und Kaltgetränke und schmiere bei Bedarf ein leckeres Käsebrot. Mit Gewürzgurke. Ich setze mich dazu und fordere meine Gäste auf, zu erzählen, was sie mir zu sagen haben. Ich lasse sie ausreden und höre gut zu.
Manche von ihnen haben scheint’s kein eigenes zu Hause. Sie machen sich breit, verlangen nach Schampus und fordern Wildlachs statt Käse. Sie begnügen sich nicht mit der Couch, sondern wollen sich zu mir in mein Bett kuscheln, ziehen mir die Decke weg und schnarchen schlimmer, als eine Englische Bulldogge. Sie setzen am Morgen mein Bad unter Wasser und quengeln, ich soll die Heizung gefälligst höher drehen.
Und trotzdem habe ich Geduld mit ihnen und versuche ihre Botschaft zu ergründen. Wissend, dass Gefühle Beachtung wollen. Genau so viel Beachtung, bis sie sich genügend wahr-, für voll genommen und in ihrer Existenz als absolut berechtigt fühlen können. Und schließlich doch weiterziehen wollen.
Aber wie komme ich jetzt von meinem kleinen Exkurs über den Umgang mit Gefühlen wieder zurück zu meiner eigentlichen Frage: Was ist los mit mir, dass jemand nicht mit mir tauschen möchte?
Gibt es denn jemanden, mit dem ich tauschen möchte? Niemals!
Das ist doch mein Leben. Und was ich daraus mache, ist allein meine Entscheidung. Die Frage, es eintauschen zu wollen gegen ein anderes, stellt sich nicht.
Mein Leben als so furchtbar einzuschätzen, dass man froh ist, es nicht an meiner Stelle leben zu müssen, das empfinde ich als herablassend. Und für jemanden, der seit Jahren tapfer und um Achtsamkeit bemüht gegen jede Bewertung anatmet, will ich mein Leben nicht bewertet wissen. Zumal eine solche Bewertung all das Schöne, Gute, Helle , dass wie immer in jedem Auf und Ab des Lebens vorhanden ist, mit so einem Satz ausgegrenzt, ignoriert und verleugnet wird.
Ich bin keine arme Sau. Im Gegenteil!
Bin ich empfindlich? Aber Hallo! Der Sender dieser Botschaft hat es mit Sicherheit nicht böse gemeint (dieser Satz gehört übrigens auch noch zu meinen Top 10 der schlimmsten Sätze). Aber er ist auf Distanz gegangen und hatte, ganz schlimm, Mitleid im Blick. Hat sich wahrscheinlich anschließend auf den Heimweg in sein eigenes, offenbar sehr viel besseres Leben gemacht. Echt froh, nicht mir tauschen zu müssen.
Ist jemand, der froh ist, nicht mein Leben leben zu müssen, auch neidisch auf andere? Also auf die, mit denen er entsprechend mehr als gern und zwar sofort tauschen würde? Und wie ist es dann mit seinem eigenen Leben bestellt?
Sagt man sowas etwa einfach so dahin? Das sagt man doch manchmal nur so?
Kann schon sein. Nur sollte man dabei nicht vergessen, dass es wahrscheinlich jemand hört. Und auch, wenn die Nachricht das Machwerk des Empfängers ist, darf man den Sender in seiner Wirkung nicht vernachlässigen.
Aber wer weiß, vielleicht passiert das Wunderbare eines Tages und mir begegnet irgendwann jemand, der sagen kann „WOW! So viele Lern- und Entwicklungschancen! Ich beneide dich!“.
Das wäre doch mal was!