Mehrerlei

Bloß kein Co-Depressiver

Wenn ein liebster Mensch plötzlich komisch wird, dann ist das wenig witzig für die, die ihn lieben. Wenn jemand morgens kurz nach dem Aufstehen anfängt zu weinen, um erst gegen Abend wieder damit aufzuhören. Er vor sich hinstarrt, direkt ins gefühlte Nichts. Ihm schier gar nichts, was man sich ausdenkt, Freude macht. Er kaum beherrschbare Angst davor hat, mal eben Brötchen zu holen. Den 4 Meter langen Weg vom Sofa zur Küche nicht zu schaffen glaubt. In keiner Hinsicht mehr plan- oder berechenbar ist. Egozentrisch nur noch um sich und seinen alles ausfüllenden Schmerz kreist. Jede verdammte Nacht gegen 02:45 Uhr aufwacht und den Schlaf, den es so dringend braucht, um wieder gesund zu werden, einfach nicht findet. Jedwedes Interesse verliert. Nur noch aus gefühlter Schuld an allem besteht. Ständig die Haustür offen stehen lässt, den Herd auszustellen oder das abgehobene Geld im Bankautomaten vergisst. Jede Freude aus dem gemeinsamen zu Hause einer bleiernen Schwere weicht. Der geliebte Mensch nichts mehr essen mag, egal, was man ihm anbietet und kocht. Er in einem Tempo abnimmt, als würde er sich einfach auflösen wollen. Und wenn er dann sagt, dass all das aufhören muss, spätestens morgen, weil er es sonst nicht mehr aushält zu leben, dann ist er trotz allem ein Gesegneter, wenn er jemanden hat, der all das mitträgt. Ich hatte damals so jemanden. Ich durfte ihm sagen, dass ich ja gar nicht tot sein möchte, sondern einfach nicht mehr leben kann. Er hat mich das aussprechen lassen und mir zugehört. Hat mir hochkalorischen Vanillequark gekauft, den ich nur schlucken musste. An besseren Tagen Steak mit Pampe gebraten und das Fleisch in kleine Häppchen geschnitten. Hat es ausgehalten, mich nicht in Watte zu packen, sondern mich mit der Realität zu konfrontieren. Hat seine Hilflosigkeit ertragen, als einer, der es gewohnt ist, Probleme zu lösen. Hat mit geholfen, mein Leben zu retten und viel besser zu machen. Ich werde ihm all das niemals vergessen. Dieser Mensch hat heute Geburtstag. Er hätte allen Grund, sich zu feiern. Meinen Glückwunsch, von ganzem, genesenem Herzen!

Das Troll – Marketing für lau

Seitdem ich mit meiner kleinen Kolumne angefangen habe, erfreue ich mich eines besonders treuen Lesers. Mit seinen differenzierten, reflektierten Kommentaren ist er mir eine große Inspiration. Und natürlich sorgt er mit seiner treuen Leserschaft dafür, dass meine Reichweite kontinuierlich steigt. Das ist wirklich unheimlich nett! Dass er nicht so viel Ahnung von Hunderassen hat und daher das auf dem Foto vom 03. August abgebildete Exemplar nicht gleich als einen der sehr, sehr seltenen Terriedudel erkennen konnte, ist nicht schlimm. Diese kleine Wissenslücke macht er locker wett mit seiner herzlichen Eloquenz und 100 %igen Sicherheit im Bereich Grammatik und Zeichensetzung. Toleranz, Gelassenheit und sein großer Respekt vor anderen lassen sich nicht nur zwischen seinen sowohl engagierten, als auch äußerst humorvollen Zeilen lesen. Ich möchte Wetten, dass er zudem mit einem äußerst attraktiven Äußeren gesegnet ist. Ein Zeichen für seine sicherlich große Bescheidenheit, dass er eher anonym bleiben möchte, und wir darum auf sein Foto verzichten müssen. Sollte ihn nun wider Erwarten jemand in seinen ausschließlich philanthropischen Äußerungen missverstehen, sich eventuell gekränkt, provoziert oder sogar verletzt fühlen, dann kann ich euch versichern: Er will doch nur dazugehören. Es scheint, als wünsche er sich Anschluss, wenigstens an die putzige Gruppe der Trolle, die ein erfrischendes Vergnügen daraus ziehen, andere aus der scheinbaren Sicherheit des Netzes heraus ohne jedes Risiko zu insultieren. Dafür brauchen sie keine persönliche Beziehung zu ihrem, Gott sei Dank ja nur virtuellen, Gegenüber. Im Gegenteil, diese scheuen sie grundsätzlich eher, ahnend, dass ihnen der dafür notwendige Schneid und auch das entsprechende Handwerkszeug fehlen. Der Troll an sich ist ein eher einsames Wesen, gequält von der übergroßen Sehnsucht nach Aufmerksamkeit, die ihm allzu oft versagt bleibt. Selbst seine Brüder im Geiste haben ihn schon wieder nicht zum Troll des Monats gewählt. Autsch, das tut weh. Also schicken wir ihm Licht und Liebe und vertrauen auf seinen persönlichen Prozess und den stetig wachsenden Leidensdruck, der ihn irgendwann in die Hände eines dieser total verkorksten Psychos treiben wird.

Ich bin perfekt – wie kann ich Ihnen helfen?

Mein treuer Leser hat eine klare Meinung zu uns Psychos: Die haben doch alle selbst einen an der Waffel. Na, das will ich doch hoffen! Die Vorstellung, in großer Not jemandem gegenüber zu sitzen (oder wahlweise auch zu liegen, um gleich mal das Klischee zu bedienen), der mich freundlich anlächelt und mir sagt, dass das ja alles irgendwie ganz furchtbar klingt, er aber gar nicht verstehen könne, wie man sich so fühlt in seiner Suppe, weil ihm selbst an jedem neuen Tag, den Gott werden lässt, die Sonne aus dem Enddarmbereich scheint und er, was will man machen, auf stets frisch gepflückten, dornenfreien Rosen gebettet das Leben als eine einzige Reise im Segment Traumschiff erlebt, gemahnt an einen Traum der Marke Alp. Selbstverständlich haben die meisten von uns ihre ganz eigenen Geister, mit denen sie sich rumschlagen. Wir sind genauso gefangen in alten Mustern, Sehnsüchten und Glaubenssätzen, wie viele andere auch. Denn tatsächlich, und das mag für manchen bisher ein Geheimnis gewesen sein, am Ende des Tages sind wir doch tatsächlich Menschen. Und die Wirksamen unter uns sind sich dessen bewusst, betreiben seit langem stete Innenschau, verstehen, warum die zähen Muster früher mal sinnvoll waren und heute höchst hinderlich sind, gehen in die Verantwortung für sich und kommen ins entsprechende Handeln und dann irgendwann auch fühlen. Haben am eigenen Leib erfahren, was die alten, säuselnden Stimmen alles auffahren, damit sich bloß nichts ändert und bitte, bitte alles so bleibt, wie es immer schon war. Rülpschmatzbäuerchen. Sie bitten um Rückmeldung und nennen jeden einen Freund, der sie auf blinde Flecken hinweist. Das ist ein langer, zäher, kräftezehrender Weg. Und eine der Grundvoraussetzungen, unseren Klienten auf Augenhöhe begegnen zu können. Es soll übrigens Onkologen geben, die an Krebs erkranken. Natürlich weil die selbst allesamt Kette rauchen. Denen sollte man die Approbation entziehen. Aber wirklich! Was mag mein treuer Leser da unten an seiner Universität im Süden Deutschlands wohl studiert haben? Auf keinen Fall irgendwas mit Menschen. Oder, Gott bewahre, mit Tieren. Vielleicht hat er sich auch darauf beschränkt, das leckere Mensaessen und die studentische Krankenversicherung zu schnorren. Wir werden all das niemals erfahren.

Wo ist die Liebe, wenn sie nicht mehr hier ist, denn dann bitte?

Auf meinem sonntäglichen Morgenlauf traf ich die Liebe. Mitten auf dem Weg stand sie, eng umschlungen, mit allem, was dazu gehört. Sogar mit Zunge. Lächelnd und Blickkontakt suchend lief ich an ihr vorbei und freute mich, wie immer wenn ich sie treffe. Da der Lauf im Alstertal einer im Kreis ist, traf ich 5,73 km später erneut auf sie. Diesmal wollte ich es wissen und die pelzige Kontaktbereichsbeamtin an meiner Seite hat mir, wie so oft, eine wedelnde Brücke zum Gespräch gebaut. Ich fragte die Liebe, wie lange sie schon bei diesen zwei Repräsentanten ihres Zaubers zu Gast sei und äußerte die Vermutung, dies sei entweder bereits sehr lang oder erst ganz kurz der Fall. Beide Male hatte ich Recht, lies sie mich wissen. 30 Jahre lang waren die beiden in Freundschaft verbunden, und wenn echte Freundschaft keine Form der Liebe ist, dann weiß ich auch nicht. Und vor nunmehr 2 Jahren hatte die pure Liebe selbst sich dann in einer Nacht und Nebel Aktion in beider Leben gesteckt und sie füreinander entflammen lassen. Ich stimme mit Zarah Leander überein, wenn sie meint, die Liebe geht seltsame Wege und doch führen offensichtlich alle irgendwie zum Ziel. Was mich umtreibt ist die Frage: Wohin geht die Liebe, wenn sie weg ist? Macht sie Urlaub? Ist sie zur Kur und sucht sich dort einen Schatten? Wandert sie aus? Kommt sie irgendwann wieder? Ist sie vielleicht gar nicht weg, sondern verkleidet sich nur? Versteckt sich hinter bösen Gedanken? Wird von der Enttäuschung entführt und vom Hass in einem dunklen Verlies gefangen gehalten? Ich glaube: Wenn sie wirklich weg geht und bleibt, die Liebe, dann war das keine wahre. Dann war das mehr ein Ich hab dich lieb oder Ich lieb dich. Aber kein Ich liebe Dich! Die wirkliche, echte, große Liebe, die macht sich nicht vom Acker. Egal, was kommt. Die will vielleicht manchmal auch allein um die Häuser ziehen, sich mit ihresgleichen zum Austausch und zur gegenseitigen Anregung für eine Weile in sonnige Gefilde zurückziehen oder sich auch mal neu verlieben. Aber wenn ich sie lasse und nicht zu viel von ihr erwarte, dann kommt sie pünktlich zu einem der nächsten Essen wieder nach Hause und hält sogar aus, dass sie manchmal nicht die Einzige ist.

Müssen müssen

Ich muss jetzt wirklich aufstehen, denn nach drei Tagen muss ich mir echt mal die Haare waschen.
Und heute Abend, dass schwöre ich, gehe ich endlich früh ins Bett, ich muss einfach mehr schlafen. Jetzt aber raus aus der Dusche, ich muss wirklich sparsamer mit dem Wasser umgehen, ist schließlich eine kostbare Ressource. Trotzdem muss ich unbedingt genug trinken, mindestens 2 Liter am Tag, davon maximal 12 Gramm in alkoholischer Form, obwohl, das ist am Ende ein Zellgift, also muss ich am besten ganz darauf verzichten. Mist, heute hätte ich laufen müssen, aber jetzt sind die Haare schon gewaschen. Jetzt hab ich ein echt schlechtes Gewissen, muss ich auch, ist schon der dritte Morgen, an dem ich mich drücke. Gott sei Dank muss ich heute Abend noch zu Bauch, Beine Po, schließlich habe ich die Clubmitgliedschaft teuer bezahlt, dann muss ich da auch hingehen. Und bevor ich es wieder vergesse, zur Krebsvorsorge und Zahnprophylaxe muss ich auch ganz dringend, also gleich mal einen Termin gemacht. Es klingelt auf der anderen Leitung, da muss ich eigentlich rangehen, geht nicht, muss ich halt nachher zurückrufen. Aber davor muss ich unbedingt meditieren, schlimm genug, dass ich das nicht täglich hinbekomme, wenn ich meinen Geist beherrschen will, muss ich das schon regelmäßig tun. Uuuups, hab ich doch schon wieder vergessen, meine Omega 3 Fettsäure zu schlucken, schmeckt echt ekelig, muss aber sein, wenn ich Herz, Hirn und Augen was Gutes tun will. Nachher muss ich noch ein Geschenk besorgen, schließlich denkt Clara auch jedes Jahr an meinen Geburtstag, da muss man sich natürlich revanchieren, obwohl, eigentlich, ach komm, reiß dich zusammen. Vorher muss ich noch schnell saugen und die Toilette putzen, die Fenster sehen aus! Nachher kommt Sabine, da muss das hier tippi toppi aussehen, sonst muss ich mir wieder einen dummen Spruch anhören. Hab ich eigentlich schon was gegessen? Kind, du musst was im Magen haben, bevor du das Haus verlässt, sonst musst du dich nicht wundern, wenn dir unterwegs schlecht wird. Außerdem musst du genügend Obst und Gemüse essen. Auf Zucker, Fleisch und irgendwas, was sie gestern erst entdeckt haben, musst du jetzt endlich auch mal verzichten. Stimmt, aber wann soll ich das alles tun? Ich muss mich nämlich auch noch ständig weiterbilden, Klavier üben, meine Mails checken und beantworten, mein kreatives Potenzial nutzen, mich kulturell, politisch, gesellschaftlich, sozial interessieren und besser noch engagieren oder wenigstens mal wieder die Tagesschau gucken, Geld verdienen, meine Weiblichkeit entdecken und leben, die neuen Medien beherrschen, meiner Freundin sagen, was ich ihr schon lange mal sagen muss und zwar offen, ehrlich und wertschätzend, mir endlich klar darüber werden, wer ich selbst wirklich bin und mich für ein Urlaubsziel entscheiden. Und vor allen Dingen muss ich wirklich dankbar sein für all die Möglichkeiten, die ich habe. Mir wird schwindlig, ich muss dringend hier raus. Unten treffe ich einen Nachbarn und er fragt mich, wie es geht. Muss ja, sag ich.

Mein Hüfthalter bringt mich um

Ich habe eine ganz, ganz tolle Nachricht: Vagisan spricht über Scheidentrockenheit! Ist das nicht erfreulich? Erfahren habe ich davon während einer Werbepause am gestrigen Abend. Ich bin so froh, dass sich endlich jemand traut und freimütig auch dieses Tabu bricht. Immer wieder ist es der Werbung zu verdanken, dass wir uns mit Themen auseinandersetzen, die wir sonst lieber beiseite schieben möchten. Dass gesicherte Wissen, dass immerhin 4 Millionen Menschen nachts raus müssen, verdanken wir einzig der Bewerbung des Produktes Granufink, dessen Hersteller nicht nur Millionen in die Erforschung des nächtlichen Miktionsverhaltens der männlichen Bevölkerung investiert, sondern auch die Randgruppe der bis dahin totgeschwiegenen Harndranggeplagten in die Mitte der Gesellschaft zurück geholt hat. Dort schlafen sie jetzt entspannt neben ihren Frauen, die Dank Tena Lady endlich wieder reflexhaft auf einen echt guten Witz reagieren können, ohne, dass sie sich vor Lachen Pippi in die Hose machen. Apropos: Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen, und was soll ich kochen? Ein Brüller, hatte echt Humor, der Dr. Oetker. Ich selbst bin seit den späten 70er Jahren davon getrieben, hoffentlich auch eine Freundin Renate zu haben, die ganz offen und ohne Furcht meinen eventuellen Gebissgeruch mit mir bespricht und mich so vor totaler Isolation beschützt. Bisher musste ich allerdings nur meine kindliche Zahnspange coregakeimfrei halten. Leider erreichen mich aber seit Kurzem auch wieder vom Teufel persönlich gemachte Botschaften, die tatsächlich behaupten, Geiz sei, entgegen jeder Erfahrung, jetzt doch wieder geil. Tztztz. Haben wir denn wirklich nicht verstanden, wohin uns der Stacheldraht in unseren Taschen führt? Am Ende würden wir wohl möglich darauf verzichten, all die guten Dinge käuflich zu erwerben, die wir, laut Werbeblock, wirklich ganz, ganz dringend brauchen und statt dessen, Gott stehe uns bei, was Sinnvolles mit unserem Geld anstellen? Es vielleicht mit jemandem teilen, der nichts hat? Was für ein verrückter Gedanke, ich muss bekloppt sein. Schnell einen Schluck Frauengold. Denn: Frauengold schafft Wohlbehagen – wohlgemerkt an ALLEN Tagen!

Zum Sterben braucht es Mut

Vor kurzem habe ich eine Bekannte in der Kurzzeitpflege besucht. Sie lag dort zusammen mit ihren drei Hirntumoren in einem schmucklosen Zimmer. Die Kurzzeitpflege ist, viel zu oft, in unserer Gesellschaft und unserem Gesundheitssystem kein gelungenes Beispiel für all das, was wirklich gut funktioniert in eben dieser Gesellschaft und in eben diesem System. Sie passiert an einem der traurigsten, deprimierendsten und frustrierendsten Orte, die ich je betreten habe. Karg in der Einrichtung und im Personalschlüssel. Pro Station und Schicht zwei Pflegekräfte, die nicht wissen, wo sie zuerst anfangen sollen. Die Flure voll entzückender, alter Damen, die noch ziemlich gut wissen, wie der Hund ihrer Kindheit hieß, sich aber nicht mehr erinnern, wo sie just ihr Portemonnaie hingelegt haben, deshalb die Schwester des Diebstals bezichtigen und mit leicht verrutschter Perücke an Gehwägen über die tristen Flure schlurfen. Die sich, egal, ob nun erinnerungsschwach oder nicht, in hohem Alter ein Zimmer mit einer ihnen Unbekannten teilen müssen, egal, wie sehr die schnarcht oder flatuliert oder weint oder erzählt. Die ewig warten müssen, bis ihnen jemand beim Gang auf die Toilette hilft und deshalb in eine Windel gesteckt werden, obwohl sie weiß Gott keinen entsprechenden Fetisch haben. Unwürdig und beschämend. Der allerletzte Ort, an dem ich sterben möchte. Meine Bekannte aber musste das. Zusammen mit ihren drei Tumoren ist sie dort vergangene Woche angeblich friedlich eingeschlafen. Warum sie das nicht in einem Hospiz tun durfte, in dem das Leben bis zum letzten Atemzug gefeiert wird, habe ich mich gefragt. Die Antwort ist so traurig, wie die Kurzeitpflege selbst. Sie wollte ihren Sohn schonen und der Sohn seine Mutter. Keiner von beiden hatte den Mut, das auszusprechen, was offensichtlich war: Ich, mein liebes Kind, muss bald sterben. Du, meine liebe Mutter, musst bald sterben. Wie wollen wir diesen Teil des Lebens gestalten? Sie haben lieber das Ende eines ganzen, langen, vollen Lebens in minderer Qualität in Kauf genommen, als über das zu sprechen, was nun mal ist, wie es ist. Sie haben viele Chancen verpasst. Angst ist, solange uns kein Säbelzahntiger auf den Fersen ist, ein mieser Ratgeber. Und Tiger dieser Art sind bereits seit Millionen Jahren ausgestorben. Das ist zwar schade, aber der Letzte von ihnen musste sich ganz sicher nicht mit vollgekleckertem Oberteil in trostloser Umgebung auf seinen finalen Weg machen.

Genügsame Helden

Auf meinen Spaziergängen durch den wunderschön angelegten und gepflegten Hamburger Stadtpark, treffe ich immer wieder auf zwei besondere Menschen. Sie tragen grüne Latzhosen und sammeln unermüdlich den herumliegenden Müll ein. Wenn ich sie anspreche, was ich sehr gern tue, dann erwartet mich ein Stabilität vermittelndes Ritual, dass sich niemals auch nur um ein gesetztes Komma verändert. Einer der beiden Herren fragt, wie spät es denn genau sei. Lautet meine Antwort z.B. 20 vor 10, dann fragt er nach, ob ich wohl 9 Uhr 40 damit meine. Verbleibe ich in unserer Unterhaltung, folgt verlässlich die Frage, wie denn wohl das Wetter werden soll. Der andere Herr schweigt, ebenso verlässlich. Beide meiden den Kontakt unserer Blicke, sie werden schon wissen, warum. Unser Gespräch findet sein freundliches Ende nur dann, wenn ich weitergehe und beide ihre wichtige Arbeit fortsetzen lasse. Ihre Arbeit ist ungemein wichtig, besonders an einem Montag, und ganz besonders an einem Montag nach einem ungewohnt sommerlichen Wochenende, an dem die Müllbehälter überquellen, allerorten leere Flaschen, verglühte Kohle, verwaiste Einweggrills, fettige Plastiktüten und beschmiertes Einweggeschirr herumliegen, und mein Hund ab und an auch mal die skelettierten Überreste halber Schweine aus dem Gebüsch zerrt. Als inzwischen alter Hase weiß ich übrigens nur zu genau, was es bedeutet, wenn strahlend weißes Toilettenpapier im Unterholz herumliegt. Da hat sich dann jemand wirklich gut auf alle Eventualitäten vorbereitet. All das räumen die zwei Herren weg, gründlich, klaglos, stoisch. Seit vielen, vielen Jahren. Sie werden nicht wütend und sie sind nicht traurig über den grenzenlosen Egoismus der schlecht erzogenen Parkbesucher, die keinen Funken Respekt für das Tagewerk der beiden empfinden und sich entsprechend ignorant verhalten. Sie machen stattdessen einfach ihre Arbeit, interessieren sich für die Zeit und das Wetter oder schweigen. Sollte jemand von Ihnen den beiden irgendwann einmal begegnen, dann sagen Sie ruhig Dankeschön. Und nehmen Sie gefälligst Ihren Müll wieder mit nach Hause, wo Sie sich ganz entspannt dem Genuss Ihrer sanitären Anlagen hingeben können.

Das Geld liegt auf der Straße

Mein Anrufbeantworter blinkt freundlich und die abgehörte Nachricht lässt mich ahnen: Jetzt ist das ganz große Glück zum Greifen nah. Es geht hier um nichts weniger, als „Den Gewinn den Sie gewonnen haben“. So sieht das nämlich aus. Die Verkünderin der frohen Botschaft klingt seltsam, irgendwie wenig euphorisch ob der Großartigkeit ihrer Nachricht. Beim zweiten Mal Abhören würde ich fast sagen, irgendwie blechern, klangfarblich doch recht monoton. Geht es ihr nicht gut? Ist sie vielleicht neidisch oder sogar missgünstig? Das wäre aber kein schöner Zug, meine Dame. Obwohl ich Ihre Gefühle gut verstehen kann. Schließlich müssen Sie für Ihr Geld arbeiten, während ich ständig etwas gewinne oder erbe. Neulich erst bekam ich eine Mail, in der es um Millionen ging. Ihr Inhalt war leider in sehr schlechtem Deutsch verfasst, aber immerhin habe ich doch verstanden, dass eine zwar schwerreiche, aber eben doch bedauernswerte, sehr verwitwete Dame, nämlich die Klientin des Verfassers, ganz schlimm Krebs hat und bald sterben muss und bei ihren Recherchen nach einer Erbin doch tatsächlich auf mich gestoßen ist und ich eine, im Verhältnis zur Erbmasse, wirklich lächerliche Summe auf ein Konto in Tacka-Tucka-Land überweisen solle. Reine Verwaltungsgebühren, natürlich. Das Vermögen würde im Anschluss alsbald an mich ausgezahlt. Was für reizende Menschen. Fast so nett wie die, die mich immer mal wieder anrufen, und einfach so mein Glückslos verlängern wollen. Und dabei habe ich gar keins. Manchmal frage ich mich, warum all das ausgerechnet mir passiert und ich glaube das liegt nur daran, dass ich lächle und die Welt lächelt zurück. Die gute, alte Wald und Echo Regel. Dass das auch nach meinem Tod so weiter geht, steht schon jetzt fest. Ich verzichte nämlich regelmäßig auf all das viele Geld und gebe es direkt an das Universum zurück. Soll es sich doch eine andere Doofe suchen, die grotesker Weise tatsächlich auf den entsprechenden Link geht oder die angegebene Nummer wählt. Also wirklich!