Gemischtes

Opfer bringen

Aus Gründen der Eitelkeit musste ich aufgrund ihrer längeren Abwesenheit durch Urlaub temporär Ersatz für meine vertraute Friseurin finden. Einer Empfehlung folgend begab ich mich auf den Weg nach Eimsbüttel, um mich den Hände einer mir Fremden, aber immerhin doch Namensvetterin, anzuvertrauen. Maren begrüßte also Maren und ließ sich in tiefer Sehnsucht nach einer entspannenden Kopfwäsche ins Haarwaschbecken gleiten. Die Entspannung wollte sich nicht so recht einstellen, denn Maren, die Fremde, wählte nicht nur eine unterkühlte Temperatur im H2O Bereich, sondern fing auch sofort herrisch an zu plaudern. Anders als meine halbjährliche Verabredung zur Zahnreinigung, die die hier geltenden Regeln der Kommunikation beherrscht und W-Fragen meidet, verlangte das Plaudern der Kaltwäsche dominant nach Antworten, die zu geben ich aufgrund des Rauschens in meinen Ohren nur durch maximale Konzentration halbwegs in der Lage war. In der nun folgenden Bedarfsermittlung was den Schnitt anbelangte, wurden die zunächst noch offenen zu felsenfest geschlossenen Fragen. Ob mein Haar immer schon so fusselig gewesen sei? ich nicht viel besser sehr viel kürzeres Haar trüge?? und wer denn DAS geschnitten hätte??? Ich beschloss, abhängig wegen der Eitelkeit, zu ertragen. Langmütig habe ich mir alles zu ihrer MS-Erkrankung und den Gründen ihrer Entstehung angehört, zu viel Zucker, zu viel Gluten, zu viel Umwelt, um anschließend mit wirklich einwandfreiem Schnitt, aber gebrochenem Selbstbewusstsein die Rückkehr meiner Vertrauten herbeizusehnen.

Sein, was man isst

Da bemühe ich mich unter den Qualen des Verzichts um eine dem Körper und der Umwelt dienliche Ernährung. Patzig frage ich beim Schlachter danach, wie das Fleisch, das vor mir in der Theke liegt, dahin gekommen ist. Ohne zu zögern zahle ich 4 Cent mehr für mein Bio Ei, denn das kostet die Aktion, die dafür sorgt, dass der Kükenbruder nicht geschreddert wird. Selbstverständlich verzichte ich mit Freuden auf Erbeeren im Januar und Spargel im November. Höre ich im Radio „Nur heute! Rinderfilet! 100 Gramm für nur €1,69!“ breche ich in Hohngelächter aus. Neuerdings will eine andere Werbung mir vermitteln, dass erst wenn Qualität nicht teuer ist, es mehr Freude für alle sei. Aber wenn der Kunde den Preis nicht zahlt, wer zahlt ihn dann? Qualität kostet Geld, weil sie Zeit, Handwerk, optimale Rohstoffe und Fairness benötigt. Bewusst wie ich bin, suche ich die Nähe zu Menschen, die es ähnlich sehen und bin mir mit ihnen einig. Auf diese Weise kann ich mich einlullen in dem guten Gefühl, dass Geiz voll unmodern ist. Und dann reise ich in ein Nachbarland und muss das hier entdecken: Schrumpelige Würste in pappigen Brötchen, trockene Buletten haben sich daneben als Hamburger verkleidet. Beide liegen offensichtlich seit Tagen zum Verkauf für kleines Geld in einem gläsernen Verkaufsfach an der Straße herum und langweilen sich. Wer kauft und bitte wer isst sowas? Egal, man möchte ihm auflauern und zurufen: Iss einen Apfel oder geh spielen!

Einnistung der besten Freundin

Ich konnte mir gefühlt ewig nicht vorstellen, dass es ein Leben geben könnte, indem meine beste Freundin, die Depression, nicht morgens beim Aufwachen neben mir im Bett liegt und mir direkt in die Augen starrt, sobald ich dieselben aufschlage. Unter der Dusche hat sie mir die Temperatur eingestellt, mir beim mühsam verzehrten Frühstück die Milch heiß gerührt. Sie ist Vollzeit nicht von meiner Seite gewichen. Bis zum Abend. Pünktlich mit der Tagesschau hat sie ihre Sachen gepackt, mir einen liebevollen Blick zum Abschied zugeworfen und mir eine Pause gegönnt. Das Morgentief wich dann dem Abendhoch, exakt so, wie das ICD 10 es für eine anständige Diagnose verlangt, und ich konnte mich der Illusion hingeben, dass es geschafft sei und ich mich wieder hätte, für ein paar Stunden Kraft schöpfen. Aber ein Déjà-vu folgte dem anderen und am nächsten Morgen war es wieder da, das Innenlenben, das ich heute, genesen und mehr als das, mir nicht mehr wirklich vergegenwärtigen kann.

Meisterstück

Ich sitze allein in einem Restaurant. Es ist Abend und vor mir liegt die Karte mit dem von Spitzenkräften der multiplen Sternegastronomie kreierten 8-Gang Menü. Ich habe mich herausgeputzt und sehe atemberaubend gut aus. Der Maître macht mir ein Kompliment der charmanten Art, und voller Erwartungsfreude und durchaus mit Appetit wähle ich, schon mal ein Gläschen Gutes genießend, meine Gaumenfreuden des Abends aus. Aus den Augenwinkeln sehe ich die neidischen Blicke der anderen Gäste. Was für eine selbstbewusste Frau, zischen die einen. Beneidenswert, muss sich mit keinem Gegenüber langweilen, denken die anderen. Ich stoße erneut mit mir an, genüge mir selbst und spüre nichts als Leichtigkeit, Entspannung und Genuss. Zurück in der Realität ist es ein Lunch anstatt eines Dinners, und ich sitze leicht angespannt über der Karte, die mir den Mittagstisch anbietet. Der Kellner hat mir einen Tisch in der Ecke zugewiesen und die Leute starren mich an: Die arme Frau, muss ganz allein Essengehen. Ich übe, immer mal wieder, mir keine Gedanken über die Gedanken der anderen zu machen. Wenn die Sonne am höchsten steht, fällt mir das im gastronomischen Zusammenhang inzwischen leicht. Der beschriebene Abend jedoch bleibt bisher mein Meisterstück. Aber wer weiß und der Weg ist das Ziel. Eines Tages wird es so sein. Und vielleicht werde ich dann mit einem lieben Menschen skypen, der mir so Gesellschaft leistet. Ganz wie der reizende Herr am Nebentisch, in Begleitung eloquenter Elektronik, es mir und meiner Begleitung neulich höchst selbstbewusst vorgemacht hat.

Schlimme Sätze

Zu meiner Sammlung der schlimmsten Sätze, die man mir jemals gesagt hat, hat sich jüngst ein Neuling hinzugesellt.
„Wein doch nicht, Guck da nicht so hin, Da ist man froh, dass man selbst so gesund ist und mein absoluter Liebling: Das geht uns nichts an“ sind also getoppt, in einen tiefdunklen Schatten gestellt und somit als Hitparaden Erste hinfällig.
Ich atme tief durch, nehme Anlauf und schreibe ihn jetzt auf: MIT DIR MÖCHTE ICH ECHT NICHT TAUSCHEN.
Alter Falter! Der hat gesessen.
Mit mir möchte man echt nicht tauschen? Was ist los mit mir? Habe ich drei Köpfe? Schwebe ich aufgrund eines unglücklichen Vorfalls in der endlosen Weite des Orbits und werde dort in den nächsten drei Tagen elendig verdursten? Hat man mich betäubt, entführt und ins Dschungelcamp verschleppt, wo ich mich von Känguruhirn und Koalasperma ernähren muss?
Nichts davon trifft zu. Natürlich nicht. Ich bin weder ein Naturwunder, noch Sandra Bullock oder irgendein verirrter D-Promi.
Mir tritt das Leben nur ab und an ziemlich kräftig vors Schienbein. Es denkt sich immer mal wieder neue Groß-, Mittel- und Kleinigkeiten aus, die mich dann an, und manchmal auch über meine Grenzen hinaus treiben. Die mich den Kopf schütteln, die Arme gen Himmel strecken und weinerlich fragen lassen „Was denn nun noch bitte?“. Die mir immer wieder Gäste schicken mit den originellen Namen Schmerz, Wut, Angst, Verzweiflung und/oder Unsicherheit.
Nebenbei gemerkt, ich bin dann eine gute Gastgeberin. Ich öffne meine Türen, biete einen Platz zum Verweilen an, serviere Heiß- und Kaltgetränke und schmiere bei Bedarf ein leckeres Käsebrot. Mit Gewürzgurke. Ich setze mich dazu und fordere meine Gäste auf, zu erzählen, was sie mir zu sagen haben. Ich lasse sie ausreden und höre gut zu.
Manche von ihnen haben scheint’s kein eigenes zu Hause. Sie machen sich breit, verlangen nach Schampus und fordern Wildlachs statt Käse. Sie begnügen sich nicht mit der Couch, sondern wollen sich zu mir in mein Bett kuscheln, ziehen mir die Decke weg und schnarchen schlimmer, als eine Englische Bulldogge. Sie setzen am Morgen mein Bad unter Wasser und quengeln, ich soll die Heizung gefälligst höher drehen.
Und trotzdem habe ich Geduld mit ihnen und versuche ihre Botschaft zu ergründen. Wissend, dass Gefühle Beachtung wollen. Genau so viel Beachtung, bis sie sich genügend wahr-, für voll genommen und in ihrer Existenz als absolut berechtigt fühlen können. Und schließlich doch weiterziehen wollen.
Aber wie komme ich jetzt von meinem kleinen Exkurs über den Umgang mit Gefühlen wieder zurück zu meiner eigentlichen Frage: Was ist los mit mir, dass jemand nicht mit mir tauschen möchte?
Gibt es denn jemanden, mit dem ich tauschen möchte? Niemals!
Das ist doch mein Leben. Und was ich daraus mache, ist allein meine Entscheidung. Die Frage, es eintauschen zu wollen gegen ein anderes, stellt sich nicht.
Mein Leben als so furchtbar einzuschätzen, dass man froh ist, es nicht an meiner Stelle leben zu müssen, das empfinde ich als herablassend. Und für jemanden, der seit Jahren tapfer und um Achtsamkeit bemüht gegen jede Bewertung anatmet, will ich mein Leben nicht bewertet wissen. Zumal eine solche Bewertung all das Schöne, Gute, Helle , dass wie immer in jedem Auf und Ab des Lebens vorhanden ist, mit so einem Satz ausgegrenzt, ignoriert und verleugnet wird.
Ich bin keine arme Sau. Im Gegenteil!
Bin ich empfindlich? Aber Hallo! Der Sender dieser Botschaft hat es mit Sicherheit nicht böse gemeint (dieser Satz gehört übrigens auch noch zu meinen Top 10 der schlimmsten Sätze). Aber er ist auf Distanz gegangen und hatte, ganz schlimm, Mitleid im Blick. Hat sich wahrscheinlich anschließend auf den Heimweg in sein eigenes, offenbar sehr viel besseres Leben gemacht. Echt froh, nicht mir tauschen zu müssen.
Ist jemand, der froh ist, nicht mein Leben leben zu müssen, auch neidisch auf andere? Also auf die, mit denen er entsprechend mehr als gern und zwar sofort tauschen würde? Und wie ist es dann mit seinem eigenen Leben bestellt?
Sagt man sowas etwa einfach so dahin? Das sagt man doch manchmal nur so?
Kann schon sein. Nur sollte man dabei nicht vergessen, dass es wahrscheinlich jemand hört. Und auch, wenn die Nachricht das Machwerk des Empfängers ist, darf man den Sender in seiner Wirkung nicht vernachlässigen.
Aber wer weiß, vielleicht passiert das Wunderbare eines Tages und mir begegnet irgendwann jemand, der sagen kann „WOW! So viele Lern- und Entwicklungschancen! Ich beneide dich!“.
Das wäre doch mal was!

Auszug der besten Freundin

Irgendwann, so langsam, so zäh, so kräftezehrend, hat meine beste Freundin, die Depression, sich zurückgezogen. Anfangs verließ sie das Haus ganz überraschend, um ein paar Einkäufe zu erledigen, und nach einer Weile schien sie eine Halbtagstelle angenommen zu haben. Irgendwann packte sie ihr Handgepäck für einen Wochenendtrip, und nicht lang danach ist sie auf eine zweiwöchige Kreuzfahrt gegangen. Eines Tages stand dann tatsächlich ein Umzugsunternehmen vor unserem Haus. Sie hatte fast unbemerkt ihre Kisten gepackt und ist zunächst ganz in die Nähe gezogen. Regelmäßig hat sie mich besucht. Unsere Gespräche wurden leichter, fröhlicher, nicht mehr so monothematisch. Bei einem ihrer Besuche erzählte sie mir dann, sie würde die Stadt auf unbestimmte Zeit verlassen. Ich bekam Angst, ich wüsste nicht, ohne sie klarzukommen. Sie aber versicherte mir, dass ich das nun könne und sie, im Notfall und ausschließlich dann, sofort bei mir sei. Wir telefonierten zunächst regelmäßig, dann wurden die Abstände größer und schließlich mailten wir nur mehr sporadisch. Seit ein paar Jahren ist meine Freundin nicht mehr von meiner Welt. Ganz ab und an liegt eine Postkarte in meinem Briefkasten. Sie schreibt mir, sie denke immer mal an mich, voller Vertrauen, dass sie niemals zurückkehren müsse.

Auszug der besten Freundin

Heute war ich mit meiner Mutter in einem Möbelhaus unterwegs, dass seinen Kunden bei Bedarf einen Rollstuhl zur Verfügung stellt und der mehrfach Operierten so eine Shoppingtour im Sitzen ermöglichte. Unentgeltlich. Vorbildlich! Bemerkenswerter Weise scheint so ein Rollstuhl zwar nicht direkt unsichtbar zu machen, seinen Nutzer aber wenigstens in die Nähe der Geschäftsunfähigkeit zu rücken. Durchaus freundlich fragte die verkaufsberatende Dame mich, den wahrscheinlich offiziell bestellten Vormund, ob sie, das entmündigte Mündel, wohl hier und dort unterschreiben könne? Man sprach nicht mit, sondern über. Ich übersetzte im Anschluss von zu leise in altersgerecht laut das soeben Gesagte, was mich auch noch zu einem polyglotten Vormund machte. Was genau braucht es, um zwar anwesend, aber eigentlich nicht da zu sein? Alter ist schon mal eine super Möglichkeit. Auf irgendwie körperlich behindert kann man fast felsenfest bauen. Wahrscheinlich brauche ich nur fröhlich einen Blindenstock vor mir her zu schwenken, und schon fragt mich kein Mensch mehr nach der Uhrzeit. Spitzenergebnisse erreicht man jedoch mit einer Einschränkung im IQ-Bereich. Aber Leute, hey, ich bitte euch: Wenn das nächste Mal ein Downie euren Weg kreuzt und fragt, wie der Tag war, dann guckt ihm in die Augen und gebt ihm eine vollständige Antwort mit Subjekt, Prädikat und Objekt. Vielleicht werdet ihr mit einer von Herzen kommenden Umarmung belohnt. Und wenn ihr euch dafür bedankt, dann siezt euer Gegenüber, sollte es sich im geschäftsfähigen Alter befinden, bitte auf jeden Fall.

Sie sind da

Etwa jede vierte Frau und jeder achte Mann ist im Laufe des Lebens von einer Depression betroffen. Jeder Zwanzigste erkrankt an einer Bipolaren Störung und bewegt sich in den emotionalen Extremen von totaler Hoffnungslosigkeit hin zur vollkommenen Grandiosität. 2 Millionen konsumieren Alkohol, bis der Arzt kommt. Jeder Hundertste weiß, wie es sich anfühlt, bedrohliche Stimmen zu hören, die sonst keiner hört. Ähnlich verhält es sich bei den Essstörungen. 5 bis 10 Prozent sind an einer Persönlichkeitsstörung erkrankt. 1,6 Millionen Demenzerkrankte leben derzeit in unserem Land. 4 Prozent von uns haben ständig Angst oder erleben unberechenbare Panikattacken. 2 Prozent fühlen sich ihren Zwängen in Gedanken oder Taten ausgeliefert, 9 Prozent sind traumatisiert und kämpfen mit einer Belastungsstörung. 12 Millionen Deutsche sind mürbe durch chronische Schmerzen. Und all diese Menschen haben, hoffentlich, indirekt betroffene Angehörige. Was ich damit sagen möchte: Sie sind unter uns. Oder anders: Wir sind unter uns? Wenn wir also das nächste Mal einen Mitmenschen in eine sauber sortierte und etikettierte Schublade als unhöflich, mürrisch oder wirklich seltsam ablegen wollen, dann lasst uns bedenken, dass da vielleicht gerade jemand von zwanghaften Suizidgedanken getrieben ist, alle Kraft aufbringen muss, um morgens überhaupt aufzustehen, oder vor Sorge um einen geliebten Süchtigen nicht mehr ein noch aus weiß.

Ja, ich will!

Heute ist ein guter Tag. Und jetzt bin ich mal ganz crazy und versteige mich zu der Aussage, heute ist ein großer Tag! Denn die Neuigkeiten des heutigen Tages bestätigen meine feste Überzeugung, dass ganz am Ende die Liebe siegt. Heute triumphiert sie! Es wurde beschlossen, was längstens überfällig war: Sie darf die geliebte Sie, und er darf den angebeteten Ihn heiraten. Mit allem was dazu gehört. Mein Herz ist tief berührt von diesem Schritt der Inklusion, der es ihm möglich macht, wieder ein bisschen stolzer zu schlagen für das Land, in dem es lebt. Und wenn es hört, dass die Liebe zwischen Mann und Mann und Frau und Frau nicht natürlich sei, denn schließlich gäbe es das in der Tierwelt ja auch nicht (eine Behauptung, die nicht nur von Pinguinen längstens widerlegt wurde), dann ruft es laut „HÄ? Wir reden über zwei, die sich in Liebe verbunden fühlen! Was daran kann wider die Natur sein?“. Und wenn es dann weiter vernimmt, dass sei schließlich nicht normal im Sinne von Norm, die sich durch die Meisten definiert, dann muss es echt lachen und erwidern „Na und? Super gut Fußballspielen können und damit Millionen verdienen ist in diesem Sinne auch nicht normal! Was also ist das für ein Argument gegen die Liebe?“. Mein Herz ist weise, denn es liebt auch und durfte das immer tun, mit allem was dazu gehört. Wir beide sind heute glücklich, dass all das den anderen Liebenden jetzt endlich ebenfalls erlaubt ist.